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Neue Wache - Alte Zeiten

Fotos aus dem Jahr 1990 vom Mahnmal "Unter den Linden" in Berlin

Es kommt sicher nicht allzu oft vor, dass jemand seinen Wehrdienst zumindest teilweise als Touristenattraktion ableistet. Mir ist das im Wendejahr 89/90 passiert.

In der DDR war es die Regel, dass Abiturienten sich zu einem dreijährigen Wehrdienst, d.h. zu einer Unteroffizierslaufbahn verpflichteten. Zumeist geschah das, um die Aussicht auf den gewünschten Studienplatz nicht zu gefährden. Wer sich dem verweigerte und statt dessen lediglich den Grundwehrdienst ableisten wollte, hatte mitunter einige Unannehmlichkeiten zu erdulden. Bei mir beschränkten sich diese zum Glück auf einige atmosphärisch unschöne "Laufbahngespräche" und eine öffentliche Missbilligung meines Verhaltens vor der versammelten Schule. Damit konnte ich als eher wenig repräsentativ gelten. Insofern ist es fast etwas verwunderlich, dass ich ausgerechnet in ein Regiment eingezogen wurde, das die NVA und somit auch die DDR ein gutes Stück nach außen repräsentierte: das Wachregiment "Friedrich Engels" in Berlin. Neben dem Objektschutz war das Regiment zuständig für die militärische Ausschmückung von Staatsempfängen, für Kranzniederlegungen und Beerdigungen und nicht zuletzt auch für die tägliche Ehrenwache am Mahnmal "Unter den Linden" und den wöchentlichen "Großen Wachaufzug".

Dienstbeginn war am 1. November 1989. Es war die Zeit der großen Demonstrationen im Lande. Mit unguten Gefühlen fuhr ich nach Berlin. Man wusste ja nicht, was einen dort erwartet. Zurückblickend muss ich aber sagen, dass ich die Zeit und den Ort betreffend mit meinem Wehrdienst letztendlich großes Glück hatte. So habe ich die Ereignisse von der Maueröffnung bis zur Wiedervereinigung in Berlin hautnah miterleben können. Auch war das Jahr bei der NVA, mal abgesehen von den ersten kritischen Wochen, sicher das entspannteste, das man als deutscher Wehrdienstleistender im 20. Jahrhundert erleben konnte. Der Staat, dem man diente, befand sich in der Abwicklung. Der ganze ideologische Ballast wurde nach und nach über Bord geworfen. Dementsprechend unaufgeregt wurde nach und nach auch der Dienst.

Das galt auch für die Ehrenposten an der "Neuen Wache", dem damaligen "Mahnmal für die Opfer von Faschismus und Militarismus". Mit dem sich öffnenden Land öffneten sich auch die Dienstvorschriften den neuen Gegebenheiten. Oder man kümmerte sich nicht mehr allzu sehr um die Vorschriften. Es war plötzlich möglich, mit interessierten und neugierigen Menschen aus Westdeutschland und aller Welt und selbst mit Soldaten der Westmächte ins Gespräch zu kommen. Der Dienst "Unter den Linden" hatte irgendwann beinahe einen zivilen Charakter angenommen. Als Ehrenposten stellte man eine Sehenswürdigkeit von Berlin dar, in den Pausen war man gesuchter Ansprechpartner für die Besucher der Stadt, war im Rahmen des eigenen Wissens Touristinformation und Stadtbilderklärer. Manchmal aber leider auch einfach nur Zielscheibe für dumme Anmache und Beschimpfungen.

Neue Wache - Alte Zeiten. "Alte Zeiten" bezieht sich in erster Linie auf das ganz persönliche Erinnern. "Alte Zeiten" lässt sich aber auch in einem größeren Rahmen auf einige Aspekte der DDR beziehen. In ihrem Selbstverständnis sah sich die DDR als Gegenentwurf zum nationalsozialistischen Deutschland. Die antifaschistische Intention sei hier auch unbestritten. Paradoxerweise gab es aber verblüffende Ähnlichkeiten in den Machtstrukturen und nicht zuletzt auch im Erscheinungsbild: Massenaufmärsche, inszenierte Jubelveranstaltungen, pompöse Militärparaden, Fahnenappelle, die Uniformierung schon von Kindern und Jugendlichen. Zumindest was das Layout angeht, hatte die DDR die alten Zeiten noch längst nicht hinter sich gelassen sondern schloss bündig an diese an.

Zu dem militär- und uniformlastigen Erscheinungsbild der DDR gehörte auch das Zeremoniell am Mahnmal "Unter den Linden". Und als dort Diensttuender war man plötzlich ein Teil davon. Man war öffentlich wahrnehmbarer und ansprechbarer Teil des von vielen gehassten, allmählich zerbröselnden Staates DDR, was sicher mit der Grund für die vereinzelten Anfeindungen war. Manche vermuteten, dass nur besonders partei- und staatstreue Soldaten als Ehrenwache am Mahnmal stehen durften bzw. mussten, was einfach nicht stimmte. Andere glaubten, dass wir als "Wachregiment" zur Stasi gehörten, was genauso falsch ist. Man wurde da schnell mal in eine Schublade gesteckt, in die man nicht hineingehört. Zum Wehrdienst gehörte stellenweise somit auch, die eigene Person gegen Verdächtigungen und Anschuldigungen zu verteidigen.*

Die Fotos entstanden an verschiedenen Tagen im Mai oder Juni 1990 als Andenken für mein ganz persönliches Erinnern. Da sie einigermaßen interessante zeitgeschichtliche Dokumente darstellen und zum Teil auch schöne Fotografien sind, möchte ich sie mit der Veröffentlichung im Internet auch anderen zugänglich machen - als kleinen Beitrag für das kollektive Erinnern zwanzig Jahre nach Mauerfall und Wiedervereinigung. Manche der Fotos haben sogar einen gewissen Unterhaltungswert, lassen sie doch vermuten, dass wir nicht dem Ministerium für Verteidigung sondern dem "Ministry of silly walks" unterstellt waren. John Cleese hätte sicher seine Freude an uns gehabt. Unter einem bestimmten Blickwinkel lässt sich die Ehrenwache aber auch ganz ernsthaft als Aktionskunst bzw. Kunst im öffentlichen Raum betrachten.

Nicht bei allen Aufnahmen hatte ich selbst den Finger am Auslöser. Da ich natürlich auch ein paar Fotos haben wollte, auf denen ich selbst zu sehen bin, hatte ich meine Kamera auch anderen in die Hand gedrückt. Leider erinnere ich mich nicht mehr daran, wer die anderen Fotografen waren, wie mir auch einige Namen der abgelichteten Soldaten schon längst entfallen sind.

An dieser Stelle noch einmal der Hinweis: Es ist untersagt, die Fotos ohne meiner Zustimmung zu speichern, auszudrucken, weiterzureichen, in andere Internetseiten einzubauen oder in irgendeiner anderen Form zu verwenden oder gar zu verwerten.

Thomas Tauber im Januar 2010


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* Zur Ambivalenz des Dienstes "Unter den Linden" siehe auch den Artikel "Ehrenposten wegtreten!" aus der NBI, Heft 43/1990.
 
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